Dr. Judith Bildau ist Patchwork-Mama von 5 Kindern, 3 eigenen und 2 geschenkten, sie lebt mit ihrer Familie in der Toskana. Neben ihrem Beruf als Fachärztin für Gynäkologie, ist sie als Online-Redakteurin und Online-Ärztin bei „MutterKutter“ tätig, als Influencerin auf Instagram aktiv, als Model gefragt und als Buchautorin bekannt.
Dr. Judith Bildau im Gespräch mit BARRIO
Du bist während deines Studiums schwanger geworden und hast als alleinerziehende Mutter das 3. Staatsexamen gemacht? Wie hast du das alles alleine unter einen Hut bekommen?
Ich erinnere mich im Nachhinein gerne an diese Zeit. Die Schwangerschaft mit meiner großen Tochter Leni war nicht geplant und kam für mich sehr überraschend. Zunächst hat mir das Ganze ganz schön den Boden unter den Füßen weggezogen. Erst recht als dann relativ schnell klar wurde, dass ich alleinerziehend sein werde. Was mich in dieser Zeit am meisten gestützt und gestärkt hat, war meine Familie. Meine Mutter und meine große Schwester waren bei der Geburt dabei. Als ich kurz danach anfing, für das Examen zu lernen, hat meine Mutter Leni betreut. Ich habe in dieser Zeit aber auch gelernt, nach Hilfe zu fragen, zum Beispiel bei der Stadt um einen Betreuungsplatz für alleinerziehende Studierende, beim Jugendamt um Unterstützung bei Unterhaltsfragen etc. Mein Netzwerk bestand schließlich aus einem familiären Anteil und aus einem organisierten. Das hat gut funktioniert und so konnte ich mein Studium abschließen und danach meine Ausbildung als Ärztin beginnen.
Wie haben deine Kinder dein Leben verändert?
Meine Kinder haben meinem Leben einen komplett anderen Kontext gegeben. Ich weiß, das hört sich vermutlich irgendwie komisch an, aber so empfinde ich es. Sie haben meinen Blick auf die für mich wirklich wichtigen Dingen gelenkt. Durch Leni bin ich zu einer Mutter und gleichzeitig auch von einem Mädchen zu einer Frau geworden. Mit der Geburt der anderen beiden Mädchen bin ich weitergewachsen und natürlich auch durch meine beiden großen, geschenkten Töchter. Die Mädchen haben meinem Leben eine gewisse Ernsthaftigkeit verliehen, ganz viel Verantwortungsbewusstsein, aber vor allem auch eine unglaubliche Freude und Dankbarkeit.
Unsere Kinder sind unsere besten Lehrenden. Was haben deine Kinder dich gelehrt?
Meine Töchter haben meinen Blick auf sehr viele Dinge verändert. Ich mache mir sehr viele Gedanken über alles, hinterfrage sehr viel. Letztendlich betrifft jede meiner Entscheidungen auch das Leben der Mädchen. Das fängt beim Thema Nachhaltigkeit an, geht über soziale Fragen bis hin zu politischen. Meine Kinder haben mich definitiv gelehrt, für Dinge einzustehen, wenn sie mir wichtig sind, die Stimme zu erheben, wenn ich gehört werden möchte und mich immer weniger mit belanglosen Dingen aufzuhalten.
Du lebst mit deiner Familie in Italien. Wie unterscheidet sich das Leben in Italien für deine Familie von dem Leben als Familie in Deutschland?
Ich empfinde den Stellenwert der Familie und der Kinder hier in Italien ganz anders als in Deutschland. Ich habe hier noch nie erlebt, dass meine Kinder stören. Sie sind immer mit mir willkommen, egal, wohin ich gehe. Vielerorts sind die staatlichen Betreuungsmöglichkeiten im Vergleich zu Deutschland weniger gut ausgebaut. Hier wird dann die Kinderbetreuung ganz selbstverständlich von der Familie, Freund*innen und/oder Nachbarn*innen übernommen.
Wie erleben deine Kinder die Schule und ihr soziales Umfeld nach der Auswanderung?
Meine Kinder waren ja schon vorher sehr oft mit uns hier in der Toskana. Es war also kein ganz unbekanntes Umfeld für sie. Sie kannten viele Dorfbewohner*innen und haben sich hier sehr wohl gefühlt. Bevor wir in die Toskana gegangen sind, waren wir für fast zwei Jahre in Rom. Dort sind die Mädchen auf die deutsche Schule gegangen. An den Wochenenden sind wir dann meist in die Toskana gefahren. So konnten sie Italienisch lernen, wurden aber noch einige Zeit auf Deutsch unterrichtet. Seit etwas über einem Jahr, quasi mit Beginn der Pandemie, sind wir dann ganz in die Toskana gegangen. Der Wechsel in das italienische Schulsystem war nicht ganz einfach. Auch das Finden von Freund*innen unter den Pandemiebedingungen war zeitweise schwer. Das hat uns als Eltern teilweise sehr gefordert. Dennoch war und ist es auch sehr schön zu sehen, wie unbekümmert und unkompliziert Kinder auf neue Dinge zugehen und dass sie sich, auch wenn sie zunächst Vorbehalte haben, schnell vom Gegenteil überzeugen lassen.
Was hat dir die Auswanderung gegeben, was du dir immer gewünscht hast?
Sie hat meinen Horizont unglaublich erweitert und mein Leben in ein kleines Abenteuer verwandelt.
Würdest du andere Eltern mit schulpflichtigen Kindern zu diesem Schritt ermutigen?
Ja, auf jeden Fall. Wenn gewisse Voraussetzungen gegeben sind und es wirtschaftlich auf nicht ganz wackeligen Füßen steht, würde ich alle Familien, die diesen Traum haben, dazu ermutigen, den Schritt zu gehen!
Warum ist es so wichtig, dass Mädchen während ihrer Entwicklung, bereits im Kindergarten- und Grundschulalter, entspannte Eltern haben, um zu starken Frauen heranzureifen?
So viele Entwicklungsschritte geschehen quasi unbemerkt. So viele Glaubenssätze formieren sich schon in ganz jungen Jahren. Viele Bausteine für ein gesundes Selbstbewusstsein oder für ein gesundes Abgrenzungsverhalten werden schon sehr früh gelegt. Wir können also nicht früh genug damit anfangen, unsere Töchter zu starken, selbstbewussten Mädchen zu „erziehen“, denen es irgendwann gelingen wird, eigenverantwortlich und entspannt durchs Leben zu gehen. Damit uns das gut gelingen kann, sollte es aber auch uns Eltern gut gehen. Das ist nämlich ebenso wichtig. Einfach auch deshalb, weil unsere Kinder uns sehr genau beobachten und viele Dinge ganz automatisch aufnehmen und übernehmen. Wir als Eltern müssen auf uns achten, müssen gut für uns sorgen und liebevoll mit uns umgehen. Wir müssen nicht 100% perfekt sein und wir müssen es nicht immer allen recht machen. All das, was wir in unser Wohlergehen investieren, selbstverständlich in einem gesunden Maße, fällt automatisch auf unsere Kinder zurück. Was wir in uns investieren, investieren wir auch in sie. Gehen wir als Eltern gut mit uns selbst um, so zeigen wir unseren Kindern wie wichtig eine liebevolle Beziehung zu sich selbst ist. Weder wir, noch unsere Kinder, müssen immer „funktionieren“.
Wie gestaltet sich das deiner Meinung nach bei Jungs, ist es für sie nicht genauso wichtig Eltern zu haben, die in Balance leben?
Selbstverständlich, ganz ohne Frage!
Nachhaltigkeit ist ein Thema, was dir ganz besonders am Herzen liegt. Warum ist das so?
Das Bewusstsein für Nachhaltigkeit ist mir wirklich erst mit meinen Kindern gekommen. Vorher hatte ich da, ehrlich gesagt, überhaupt keinen Sinn für. Mittlerweile nehme ich mich da sehr in die Pflicht; es geht ja schließlich darum, dass wir unseren Kindern eine lebenswerte Zukunft ermöglichen. Mit dem Umzug in die Toskana kommen wir unserem Ziel, so nachhaltig wie möglich zu leben, noch einmal ein ganzes Stück näher. Wir bauen gerade einen Biobauernhof auf und hoffen, uns bald fast komplett selbst versorgen zu können.
Hast du Tipps für unsere Eltern, wie ihnen ein Leben mit mehr Nachhaltigkeit gelingt?
Ich denke, es geht zunächst einmal um ganz banale und gar nicht so große Dinge: Wege zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurücklegen, soweit es irgendwie geht, auf Plastik zu verzichten, lokal und/ oder bio einkaufen, Hygieneprodukte bio und/ oder vegan auszuwählen, raus aus der Fast Fashion-Falle. Viele kleine Schritte, die ja auch nicht unbedingt gleichzeitig passieren müssen, die aber gesammelt schon sehr viel bedeuten.
Wie schaffst du es all deine Berufe und Aufgaben unter einen Hut zu bringen und trotzdem für deine Familie da zu sein?
Ich habe mit den Jahren gelernt (und lerne es noch!), nicht mehr so sehr über meine persönlichen Grenzen zu gehen. Auch mal „nein“ zu Dingen zu sagen. Ich habe jetzt schweren Herzens, meine Stelle in der Klinik reduziert, weil ich gemerkt habe, wie sehr diese Arbeit meine Familie und auch mich belastet. Ich lerne immer mehr, Prioritäten zu setzen und nicht mehr alles leisten zu wollen. Das ist für mich ein großer Schritt und hat eine ganz schön lange Zeit gedauert.
Was ist die größte Herausforderung in deinem Leben?
Die größte Herausforderung ist für mich, Mutter, Ärztin, Frau, Autorin, Model, bald Bäuerin usw. in einem Leben zu sein. Mich begeistern so viele Dinge, ich habe so viel Freude an den unterschiedlichsten Facetten dieser Welt. Ich möchte alles, was ich anpacke, gut machen, mit ganzem Herzen, ich möchte mich aber nicht auf eine Sache oder eine Kompetenz festlegen oder in ein Schema pressen lassen.
Mehr von Dr. Judith Bildau, sowie eine Rezension zu ihren spannenden Büchern lest ihr am Donnerstag, den 27. Mai in unserem Magazin.
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