Wenn wir die Dinge anders machen als die meisten, bedeutet das mehr Aufwand. Mehr Anstrengung. Mehr überlegen-müssen. So ist das auch, wenn wir uns entscheiden, als Familie
vegetarisch oder vegan zu leben. Es sind nicht nur die vielen Alltagsentscheidungen. Der Einkauf, der Grillabend, der Geburtstagskuchen. Anstrengend wird es vor allem, wenn wir uns
und unsere Kinder durch die fleischessende Mehrheitsgesellschaft navigieren müssen. Schließlich haben wir die Entscheidung zum Fleischverzicht aus guten Gründen gefällt. Und
trotzdem wollen wir uns nicht als Außenseiter fühlen, oder anderen permanent das Gefühl geben, sich vor uns rechtfertigen zu müssen.
Ich esse quasi nie Fleisch, außer manchmal
Menschen, die zum Teil oder vollständig auf tierische Produkte verzichten, kennen es: Sobald wir still und heimlich unsere Tofuwurst auspacken, beginnt sie, die endlos lange Kette an
Rechtfertigungen von omnivoren Freunden und Familienmitgliedern. Sie essen quasi nie Fleisch, ganz ehrlich. Und wenn dann nur ganz wenig und ausgewählt, spricht es, während das dritte Stück Bacon in ihrem Mund verschwindet.
Wenn man die Dinge anders macht, fällt man auf. Und oft genug wird eine abweichende Lebensweise als stummer Vorwurf verstanden. Auch, wenn es so gar nicht gemeint ist. Wenn
uns diese ständigen Reaktionen schon so stressen – wie geht es dann erst unseren Kindern? Wie können wir unseren Kindern unsere Werte vorleben und sie trotzdem auf die ewigen Fleisch/ kein Fleisch Diskussionen vorbereiten?
You do you
Um unsere Kinder darin zu unterstützen, schon in sehr jungen Jahren komplexe moralische Diskussionen auszuhalten, helfen zweierlei Dinge: Informationen und Verständnis. Denn ja, wir haben aus guten Gründen beschlossen, auf Fleisch zu verzichten. Diese Gründe sollten wir unseren Kindern kinngerecht vermitteln. Aber: vegetarisch/vegan zu leben, macht uns nicht zu besseren Menschen.
Lies das nochmal.
Wahrscheinlich ging unserer Entscheidung ein langer Denkprozess voraus. Ganz sicher konnten wir diese Entscheidung so treffen, weil wir gewisse Möglichkeiten hatten. Kein Mensch ist perfekt, wir auch nicht. Wir alle tun, was wir für richtig halten und machen es so gut, wie wir können. Sofern wir unseren Kindern genau das vermitteln, haben sie die Chance, allen möglichen Menschen mit Offenheit zu begegnen. Und das ganz unabhängig davon, wie sie leben.
Werte sind Werte sind Werte
Gerade bei der Frage nach dem Fleischkonsum geht es um Werte. Und wir Eltern müssen durch das schwierige Fahrwasser zwischen dem klaren Benennen von „richtig und falsch“ und Toleranz navigieren. Schließlich hilft es niemandem, wenn wir kleine Veggie-Polizist*innen groß ziehen. Wenn wir wirklich nach unseren Werten leben wollen, können und sollten wir diese nicht anderen Menschen aufzwingen. Und wir sollten auch nicht unsere Kinder dafür missbrauchen, unsere persönliche Message in die Welt zu tragen. Kinder sollten nicht als Sprachrohr für unsere Überzeugungen herhalten müssen. Das ist viel zu viel Druck und Verantwortung für so einen jungen Menschen. Auch das sind Werte, die wichtig sind. Letztlich sind wir Eltern in der Verantwortung, hier einen Rahmen zu setzen, der funktioniert. Das bedeutet leider aktuell viel Planungsarbeit, viele Ersatzprodukte, viele Absprachen treffen und viel Langmut in alle Richtungen.
Einfach machen
Wir können und sollten andere Menschen nicht verändern. Aber wir können für uns nach unseren Werten leben. Das gilt für vieles, aber besonders für das Leben ohne Fleisch.
Am effektvollsten und angenehmsten für unsere Kinder ist es, wenn wir ohne viel Aufhebens ganz selbstverständlich tun, was wir für richtig halten. Wenn wir dann zufällig auf dem Grillfest der Schule den besten Nudelsalat dabeihaben, kann das nicht schaden. Aber eigentlich geht es nicht um die anderen. Es geht um uns. Und um das, was sich richtig anfühlt. Um das zu tun, brauchen wir keine Poster und Pamphlete. Wir brauchen einfach nur uns, unseren Einkaufszettel und das gute Gefühl, dass wir Entscheidungen vermitteln, die sich einfach richtig anfühlen. Dieses entspannte Selbstverständnis, das andere nicht abwertet, spüren auch unsere Kinder.
Und fühlen sich darin sicher und geborgen ohne das Gefühl, Werbung für einen bestimmten Lebensstil machen zu müssen. Das Geheimnis ist also: einfach machen. Die guten Gründe für unser Handeln im Hinterkopf haben. Freude an Essen leben. Und zur Not auch mal: Lächeln und Nicken. Schließlich wissen wir, warum wir tun, was wir tun. Vielleicht reicht das und wir müssen nicht auch noch Tante Erna auf der Familienfeier überzeugen.
Josi Bernstein lebt seit 15 Jahren vegan und hat das Gefühl, dass sich alle Gespräche über ihre Ernährung regelmäßig wiederholen. Ihre Artikel findet ihr nicht nur auf Barrio, sondern auch auf Instagram, auf ihrem Blog und bei Twitter.