Kennt ihr das auch?
Euer Kind reagiert in manchen Situationen plötzlich wütend oder aggressiv und ihr versteht überhaupt nicht, warum.
Welche Ursachen Wut haben kann und warum sie sogar nützlich sein kann, erklärt euch Claudia Vucak an einem Fallbeispiel aus dem Coaching mit Kindern.
Tom, 10 Jahre alt, ist auf Wunsch seiner Eltern und seiner Lehrerin bei mir. Seine Eltern befürchten, dass er gemobbt wird und sich wehrt. Sie sehen ihn als Opfer, weil er kleiner und schwächer ist als seine Mitschüler. Sein Vater war auch schon Mobbing Opfer. Seine Lehrerin sieht, dass er ständig in Rangeleien auf dem Schulhof verwickelt ist. Fast jede Pause gibt es Ärger. Außerdem beobachtet sie, dass er oft seine Sachen vergisst und etwas zerstreut wirkt.
In unserem ersten Gespräch ist Tom sehr offen und erzählt mir von Situationen auf dem Schulhof, bei denen er im Spiel mit den anderen Jungs immer wieder plötzlich ausrastet und um sich schlägt. Dabei spielt gerne mit seinen Klassenkameraden, er ist auch gerne Teil einer Gruppe. Seine Wutausbrüche beschäftigen ihn.
Ich bitte ihn, an eine der Situationen zu denken (Augen zu) und sie mir zu beschreiben. Ich sage: „Du hast jetzt schon wieder richtig fest getreten und um dich geschlagen. Was war denn da gerade bei dir los?“Er erzählt, wie alle sich im Spiel auf in werfen und miteinander rangeln. Er liegt ganz unten und will aus der Situation raus.
Im Kopf ruft er STOPP!, aber niemand hört oder registriert das offenbar. Er fühlt sich hilflos, weil er nichts tun kann. Und dann kommt die Wut. Tom möchte das sehr gerne ändern. Auf einer Skala von 1-10 sieht er sein Problem bei einer 7-8. Also schauen wir uns das mal gemeinsam an.
Zunächst einmal erkläre ich Tom, dass Wut eine Superkraft ist.
Marshall B. Rosenberg, Begründer der Gewaltfreien Kommunikation, vergleicht die Wut mit einer Warnleuchte am Armaturenbrett des Autos. Diese Warnleuchte liefert uns nützliche Informationen über die Bedürfnisse des Autos. Blinkt z.B. die Tankleuchte, ist ganz klar: das Auto braucht Benzin. Die Wut teilt uns also zunächst sehr deutlich mit, dass etwas nicht stimmt. Ein Bedürfnis nicht erfüllt ist. Soll das Auto störungsfrei weiterfahren, sollten wir also herausfinden, welches Bedürfnis das ist. Leider haben wir keine blinkenden Signale im Kopf, die uns z.B. den Tank zeigen. Dafür braucht es also ein Handbuch, um das Bedürfnis zu erkennen.
Was ist ein Bedürfnis und wie finden wir heraus, welches Bedürfnis nicht erfüllt ist?
Die Wut ist eine Reaktion des Körpers, die meistens Gefühle wie Angst, Hilflosigkeit, Trauer im Gepäck hat. Wenn wir also in uns hineinhören, welches Gefühl bei der Wut gerade im Gepäck ist, bekommen wir schon einmal einen ersten Hinweis.
Mein Handbuch sind meine Fragen, wie ein Detektiv gehe ich auf die Suche nach Hinweisen.
Ich frage ihn: „Was hättest du denn gebraucht, als du unter den Jungs lagst, damit du dich nicht so hilflos fühlst? Er überlegt lange und sagt: „Ich hätte gebraucht, dass sie mich in Ruhe lassen, dass sie mich nicht einklemmen.“ Ich höre, Tom´s Bedürfnis in diesen Situationen geht in die Richtung Ruhe, Distanz.Auf meine Frage hin, ob ich das richtig höre, antwortet er: „Genau. Sie sollen mich dann einfach in Ruhe lassen. Es wird mir dann zu wild.“ Tom hat also erkannt, dass sein Bedürfnis in solchen Situationen Ruhe ist. Wir können nun daran arbeiten, wie er besser für sich sorgen kann. Wie er sein Bedürfnis in diesen Situationen erfüllen kann, ohne sich wütend zu verhalten. Denn Tom ist nicht wütend, er verhält sich wütend. Das Schöne ist: sein Verhalten kann er selbst ändern.
Verhalten ändern durch Ressourcen
Die Ressourcenförderung gilt heute als eines der zentralen Elemente einer erfolgreichen Beratung, Therapie und im Systemischen Coaching. Es geht hierbei im Wesentlichen darum, gelungene Entwicklungsaufgaben zu finden, bei denen die Klienten eine Herausforderung erfolgreich gemeistert und dadurch ein Hindernis überwunden haben. So kann ein Kind lernen, schwierige Emotionen wie Wut, Angst oder Trauer zu regulieren, indem es zunehmend Strategien entwickelt, die ihm helfen selbständig mit diesen Gefühlen umzugehen. Zu einer erfolgreichen Regulierung ihrer Emotionen nutzen Kinder also Verhaltensweisen, die sie mit positiven Erfahrungen verknüpfen.
Tom malt sehr gerne und sehr gut (ein Talent!) und daher nutzen wir dieses Talent für unsere Übung zum Finden weiterer Fähigkeiten, Talente, Kenntnisse – eben Ressourcen.
Übung: DIE WETTERKARTE
Zusammen mit Tom wird eine Wetterkarte auf das Flipchart gemalt mit 4 Wetterlagen – von sonnig, über sonnig &bewölkt, Wolken mit Regen und Gewitter. Ich erkläre ihm, dass jedes Wetter seine Berechtigung hat und sich die Wetterlagen ständig abwechseln. Nachdem die Wetterlagen im Kreis aufgemalt wurden, bitte ich Tom, mir Situationen zu den einzelnen Wetterlagen zu schildern. Er beginnt mit viel Gewitter, vor allem wenn er an Schule und die ständigen Streitereien mit den Klassenkameraden denkt.
Es wird sonnig mit Wolken, als er über sein Lieblings-Hobby, Lego-Bauen, erzählt. Und ganz sonnig wird es, als er davon erzählt, wie toll es ist mit seinem besten Freund ganze Nachmittage damit zu verbringen, in Ruhe Lego Welten zu planen, sie zu bauen und in ihnen zu versinken mit immer neuen Geschichten. Er sieht, dass er tolle Kompetenzen in diesen schönen Situationen anwendet: in Ruhe planen und bauen, sehr kreativ sein beim Geschichten erfinden.
Das sind ja mal wirklich tolle Ressourcen! Ruhiges und vorausschauendes Planen, Kreativität. Wir nennen das humorvoll seine SONNENSEITEN.Und dann sprechen wir noch darüber, dass er seine Sonnenseiten im Umgang mit den Konflikten künftig nutzen kann.
Beim nächsten Termin erzählt Tom strahlend, dass er in der vergangenen Pause wieder in einem wilden Spiel mit seinen Klassenkameraden unterwegs war. Sie haben Räuber und Gendarmen gespielt. Alle Polizisten haben sich gleichzeitig auf ihn gestürzt, um ihn zu fangen, weil er Räuber war. Sie haben ihn zu Boden gerissen, an ihm gezerrt und er wurde so langsam richtig sauer, hat rumgeschrien. Da fiel ihm plötzlich seine Sonnenseite ein und auf einmal wurde er total ruhig und sagte ganz laut und deutlich: STOPP! Das tut weh, lasst mich los, ich will das so nicht!
Zu seiner Überraschung und Freude ließen sie von ihm ab und er konnte sich erstmal in Ruhe zurückziehen.
Tom ist wirklich glücklich über seinen Erfolg, er ist in der Situation nicht ausgerastet. natürlich wird es auch Rückschläge geben, wir können unser Verhalten ja nicht auf Knopfdruck ändern. Aber allein das Wissen, dass ICH ES ANDERS KANN, hilft mir auf dem Weg dazu. Ich kann an mich und meine Stärken glauben, das habe ich ja schön öfter erlebt. Und Glaube versetzt ja bekanntlich Berge 🙂
Den Artikel zur Autor*innenvorstellung: Claudia Vucak könnt ihr hier noch mal nachlesen
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