Der Rauch kräuselt sich langsam über meine Hände. Ich halte die Räucherstäbchen vor mein Gesicht, und der süßliche Sandelholzduft kitzelt mich in der Nase. Ich atme tief ein und aus. Schließe die Augen und verbeuge mich. Einmal, zweimal, dreimal. Ein kleiner Moment der Achtsamkeit. Mein Ritual am Morgen, das den viel zu schnellen, immer gleichen Rhythmus von Anziehen, Zähneputzen und Loskommen unterbricht. Ein Augenblick des Innehaltens. Der Konzentration auf das, was an diesem Tag wichtig werden wird. Ein kleiner Raum, in dem ich dankbar sein kann für das, was gestern gut gelaufen ist.
Ein Anker der Achtsamkeit
Unser Hausschrein kam mit dem Haus. Was in Süddeutschland vielleicht der Herrgottswinkel mit Jesusbild und Marienstatue ist, ist in Thailand eine kleine, erhöht angebrachte Plattform mit Bildern berühmter Mönche, stilisierter Opfergaben und – ganz zentral – einer Buddha-Statue. Vor unserem goldbemalten Buddha steht eine kleine Räucherschale. Ein mit Sand und Asche gefülltes Gefäß, das den großen, bauchigen Schalen in den Tempeln nachempfunden ist. Hier hinein kommen die Räucherstäbchen.
Rituale geben Halt im Alltag
Ich verbinde keine großen religiösen Gefühle mit unserem Buddha. Als gelernter Philosoph mag ich vor allem, dass der Buddhismus eine Geisteshaltung ist – ein Modell, die Welt zu begreifen und über Grundlegendes nachzudenken. Ich halte den Schrein genauso in Ehren wie jeden andere Teil des Hauses und lasse ihm die Aufmerksamkeit zukommen, die er verdient. Nicht nur aus Respekt unseren thailändischen Vermietern gegenüber, sondern auch, weil ich davon überzeugt bin, wie sehr uns Rituale im Alltag Halt geben können.
Was mich mein Hausschrein über das im Moment sein gelehrt hat
Denn ich neige dazu, fünfzehn Dinge gleichzeitig zu machen. Im Moment sein ist ein Zustand, den ich oft wie im Vorbeifliegen wahrnehme: „Zug fährt ohne Halt bis zur Endstation“. Deshalb ist diese physische Erinnerung, dass es mehr gibt als To-Do-Listen und Haushalt, als Arbeit und Stress, so wichtig für mich. Ohne Bewertung, ohne Aufforderung steht mein Hausschrein jeden Morgen da und erinnert mach daran, wie schön mein Leben mit meiner Familie ist. Mit diesem kleinen Moment der Ruhe und Achtsamkeit nordet sich mein innerer Kompass wieder ein – und ich komme zur Ruhe.
Kleine Rituale für Eltern (und Kinder)
Wer keinen Hausschrein daheim hat, kann es mit folgenden, kleinen Achtsamkeits-Ritualen probieren:
- Atempause: Mehrmals am Tag für eine Minute auf den eigenen Atem achten und bewusst ein- und wieder ausatmen, um die eigene Konzentration zu stärken und den Körper zu beruhigen
- Was am Tag schön war: Abends im Bett als Teil der Einschlaf-Routine alle erzählen lassen, was für sie das Schönste war: Ein Spaziergang, ein Gespräch mit den Nachbarn, der seltsam gemusterte Stein, den wir gefunden haben …
- Eine Einschlafmeditation hören: Tagsüber ist dafür vielleicht nicht genug Zeit, aber es gibt viele schöne Gutenachtgeschichten für Kinder, bei denen sich auch Erwachsene wegträumen können
- Kurz notieren, was man heute gelernt hat: Wenn die Zeit fürs Journaling zu knapp ist, kann es reichen, einfach nur einen Satz oder eine Erkenntnis aufzuschreiben, die einen bewegt hat
- Eine Achtsamkeits-App nutzen: Mit unserer inneren Ruhe ist es wie mit unserem Laufpensum oder dem Wasserhaushalt: Wenn wir keinen Fokus darauf haben, vergessen wir schnell mal, uns ausreichend zu bewegen oder genug zu trinken. Eine App, bei der wir einfach eintragen können, wie wir uns fühlen und wie achtsam wir mit uns waren, hilft dabei, dass wir uns selbst nicht aus den Augen verlieren.
Olaf Bernsteins Kopf sieht häufig aus wie sein Internetbrowser: 15 Tabs offen, drei davon sind eingefroren und von irgendwoher kommt Musik. Wie sich das anfühlt, beschreibt er auf Barrio, auf seinem Blog, bei Instagram oder bei Twitter.