Unsere Tochter führt im Gegensatz zu vielen ihrer Altersgenossen ein ziemlich ungewöhnliches Leben. Seit Lola ein Jahr alt ist, waren wir mit ihr mehr oder minder ununterbrochen auf Weltreise. Schließlich haben wir uns dazu entschieden, vorerst in Asien zu bleiben. Hier wächst Lola bedürfnisorientiert auf. Das Ungewöhnlichste ist aber vielleicht, dass sie von klein auf mit uns Eltern in der Öffentlichkeit steht. Wir haben einen Weltreise-Blog geführt, posten unsere Familienbilder auf Instagram und Facebook und waren sogar mal zur Primetime im deutschen Fernsehen.
Viele Ängste
Schon jetzt schütteln wahrscheinlich viele beim Lesen dieses Textes den Kopf und schaudern. Die Bilder des eigenen Kindes online! Zu diesem Thema gibt es viele verschiedene Meinungen und vor allem viele Ängste. Wir haben uns ganz bewusst dafür entschieden, unser Kind in den sozialen Medien zu zeigen. Denn damit lassen nicht nur enge Freunde und Verwandte an unserem Alltag teilhaben. Für uns ist die wichtigste Motivation dahinter, dass wir uns nicht durch diffuse Ängste einschränken lassen wollen. Wir möchten diesen wichtigen Teil unsers Lebens nicht verstecken. Wenn wir versuchen würden, unsere Tochter komplett nicht zu zeigen, hätten wir am Ende eine ganze Reihe merkwürdig zugeschnittene Fotos, auf denen sich alle sonderbar verrenken.
Kinder müssen sichtbar bleiben
Als Eltern finden wir es vor allem entscheidend, dass Kinder sichtbar bleiben. Eine der Sachen, die uns in unserem Leben im Deutschland am meisten belastet hat, war die Tatsache, dass der Alltag von uns und allen anderen Menschen so durchgetaktet war, dass Kinder darin höchstens am Rande vorkamen – und das war vor der Pandemie. Nun leben in Deutschland vielleicht nicht so viele Kinder wie in manchen asiatischen Ländern, aber abgesehen von „kinderspezifischen“ Orten wie der Kita oder dem Spielplatz scheint es keinen rechten Raum mehr für Kids zu geben. Viele Menschen scheinen nicht einmal zu wissen, wie sie auf ein freundliches „Hallo“ einer Zweijährigen in der Straßenbahn reagieren sollen. Wir haben da einiges an fast rührender Hilflosigkeit erlebt. Auf dem Spielplatz hatte ich es als Vater fast noch schwerer, wenn fröhliche Annäherungsversuche von möglichen Spielkameraden von den panischen Eltern unterbrochen wurden. Häufig war ich froh, meine Tochter dabei zu haben. Eigenständiger Kontakt zu anderen Erwachsenen (auch, wenn sie die coolsten Sandburgen auf dem Spielplatz bauen) ist von vielen
Eltern nicht gewünscht.
Kinder sind kein Tabu
Es wird gerne gesagt: „Was nicht online ist, findet nicht statt“. Auf Kinder bezogen stimmt das tatsächlich. Wenn Kinder auf Blogs, Instagram und überhaupt im ganzen Internet nie auftauchen, fühlt es sich an, als würde es sich bei ihnen um ein Tabu handeln. Es vermittelt, dass es da tatsächlich etwas zu verstecken gibt, etwas Besonderes, Geheimes. Dabei sind Kinder einfach ein Teil unseres Lebens. Sie gehören zu unserer Welt – und damit für uns auch in die sozialen Medien. Wie genau und in welchem Umfang sie dort auftauchen, liegt in den Händen der Eltern beziehungsweise ab einem gewissen Alter im Ermessen der Kinder. Wir wollen so vielen Menschen wie möglich die Chance geben, online an unserem Alltag teilzuhaben, der doch recht anders ist als der der meisten unserer Follower – ohne dabei unserer Tochter das Recht zu nehmen, über ihr eigenes Bild zu entscheiden. Das ist und bleibt privat wie öffentlich eine Gratwanderung – aber eine, die meiner Meinung nach sehr wichtig ist. Wenn es nur noch kinderlose Instagram-Accounts oder Bilder von kinderlosen Paaren gäbe, würden wir alle sehr schnell glauben, dass das die Realität ist. Deshalb werden wir weiterhin unsere Tochter zeigen: ihre großartigen Luftsprünge, ihre schmutzigen Füße und ihr wuscheliges Haar – weil das nicht nur unser Leben ist, sondern das Leben an sich. Unser Kind gehört genauso zu uns und unserer Reise wie wir – und das Bild unseres Lebens wäre ohne sie einfach nicht komplett.
Olaf Bernstein freut sich, dass seine Familie in Deutschland seine Tochter dank Instagram, seinem Blog und Twitter aufwachsen sieht. Über all die kleinen und großen Herausforderungen, die damit einhergehen, schreibt er hier bei Barrio.
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