Arbeiten unter Palmen. Hippe Cafés mit noch hipperen Getränken. Sonnenuntergänge am Meer. Die absolute Freiheit. Das Leben als digitaler Nomade ist für viele der ultimative Aussteigertraum. Wenn man diesen Traum mit Kind lebt, sieht er allerdings ein bisschen anders aus. Wie genau, das ist wahrscheinlich schwer vorstellbar. Deshalb nehme ich euch heute mit durch meinen Tag als digitale Nomadin.
Morgenstund hat … ziemlich viel Gewusel im Mund
5.53 Uhr. Meine Tochter weckt mich, indem sie ihren gesamten Körper auf mich wirft und fragt, ob denn nun heute endlich der Tag wäre, an dem ihre zwei Freundinnen bei uns übernachten würden. (Spoiler: ist es nicht. Es war auch nicht gestern, vorgestern, oder der Tag davor). Schnell greife ich das Kind, werfe mir ein T-Shirt und ihr ein Kleid über und verlasse mit ihr das Zimmer.
Schließlich hat mein Mann bis Mitternacht Texte geschrieben und unsere kleine Hütte am Meer ist noch Ruhezone.
Ich kuschel mich mit meinem Kind in die Hängematte, schaue dem Tag beim Tagwerden zu und genieße das Meeresrauschen. Zwischendurch stehe ich immer mal auf, hole Spielzeug, bereite Snacks zu, organisiere Dinge. Eltern kennen das.
Gegen 8 ist auch mein Mann wach und wir gehen gemeinsam frühstücken. Das Tolle in Thailand ist, dass wir uns diesen Luxus leisten können und jede*r essen kann, was er oder sie mag. Parallel zum Frühstück startet unsere gemeinsame Homeschooling-Einheit. Schließlich hat meine Tochter seit Monaten schulfrei. Ihre Schule im Norden Thailands geht erst in ein paar Wochen wieder los. Wir lernen lesen und rechnen, während uns das Frühstück serviert wird.
Pläne planen, flexibel bleiben, lächeln und weiter
Beim Frühstück planen wir wie immer unseren Tag. Das Kind wünscht sich: Pralinen kaufen. Ich habe eine Deadline, 400 Ideen und ein bisschen zu wenig geschlafen. Der Mann hat heute einiges an Buchhaltung zu tun und außerdem ist da ja noch das Playdate mit unseren Freunden. Wir beschließen also, mit Kind und einer abenteuerlichen Menge Lego in das Café mit den Lieblingspralinen zu gehen. Ich schreibe, Mann und Kind naschen und bauen das Café in Miniatur nach.
Eigentlich war geplant, dass wir beide zum Arbeiten kommen, aber unsere Babysitterin fühlt sich unwohl und so sitzen wir gemeinsam beim Co-Working und geben unser Bestes. Nach ein paar Stunden gehen wir mit einem halben Text, unfertiger Buchführung und einem grandiosen Legobauwerk wieder nach Hause. Das Treffen am Nachmittag übernimmt mein Mann, ich ziehe mich in unsere wunderbar klimatisierte Strandhütte zurück und schreibe den Deadlines entgegen.
Für meinen Mann bedeutet das eine weitere Nachtschicht.
Alltag ist Alltag ist Alltag als Nomadenfamilie
Das Leben als digitale Nomadenfamilie ist für uns ziemlich großartig.
Das liegt weniger an den Palmen und am Latte macchiato, sondern daran, dass wir wirklich komplett flexibel sind. Wir können auf uns und unsere Bedürfnisse eingehen. Manchmal bedeutet das aber auch, dass kaum Strukturen da sind, auf die wir uns im Ernstfall verlassen können. Es bedeutet immer ein Abwägen zwischen dem, was wir alle brauchen und was gerade getan werden muss.
Wir wachen für mehrere Monate im Jahr direkt am Meer auf oder arbeiten mit Ausblick auf die Reisfelder Nordthailands. Wir können gehen, wohin es uns gefällt. Wir arbeiten tatsächlich in hippen Cafés (wenn auch nur mit einem Viertel an Fokus, weil parallel das Kind unsereAufmerksamkeit fordert).
Aber unterm Strich haben wir auch einfach einen Alltag. Wir haben Arbeit, die erledigt werden muss, wir werden morgens viel zu früh geweckt, wir sind manchmal mies gelaunt, kämpfen mit der Work-Life-Balance. Wir könnten theoretisch frei reisen, entscheiden uns aber meist für Orte, an denen unsere Freundinnen und vor allem die Freundinnen unserer Tochter sind.
Wir haben keine festen Arbeitszeiten, was aber oft heißt, dass wir abwägen müssen, ob jetzt Freizeit oder Arbeitszeit wichtiger ist. Eigentlich leben wir ein ganz normales Leben. Wir arbeiten, verbringen Zeit als Familie, streiten, lachen und lernen zusammen. Der Unterschied ist nur, dass wir dabei meist besseres Wetter haben. Und manchmal am Ende des Tages ziemlich spektakuläre Sonnenuntergänge am Meer.
Josi Bernstein lebt derzeit mit ihrer Familie in Asien. Ihre Artikel findet ihr nicht nur auf Barrio, sondern auch auf Instagram, auf ihrem Blog und bei Twitter.