Günes Seyfarth gründet in München „Community-Kitchen“, um täglich 7 Tonnen Lebensmittel zu retten. Frau Seyfarth ist ein Multitalent, sie ist Gründerin von Mamikreisel, DieMacGyvers, Fruitiverse GmbH, hat 2010 ihre eigene Kita Karl & Liesl e.V. gegründet und vermittelt Schulkindern ab 12 Jahren mit ihrer gemeinnützigen Organisation Next Entrepreneurs gUG unternehmerisches Denken und Handeln. Als Gründerin von Foodsharing München e.V. engagiert sie sich gegen Lebensmittelverschwendung und im Verein Eine Schule für Alle e.V. für ein gerechteres Schulsystem in Bayern. Bekannt sind auch ihre alljährlichen Weihnachtsessen in der Münchner Au, in 2020 hat sie sich als Initiatorin für “Weihnachten aus der Tüte” stark gemacht.
Lebensmittelretten ist Herzenssache von Unternehmerin Günes Seyfarth und gleichzeitig das 3. wirksamste Mittel zum Klimaschutz. Wir hatten Gelegenheit sie zu ihrem neuen Projekt zu befragen.
Wie kam es zu deinem neuen Projekt „Community- Kitchen“?
Im vergangenen Dezember wurde ich von einer befreundeten Rektorin angerufen, die mir erzählte, dass in Neuperlach ein neues, großes Bildungsprojekt geplant wäre. Eigentlich hatte ich nicht wirklich Lust dort hinzugehen, weil Corona, weil Winter – das Treffen fand draußen statt – und weil Freitag. Doch irgendetwas hatte mich gepackt.
… und so traf ich vor Ort auf den Immobilienbesitzer, den Projektleiter und 15 weitere Personen, die Interesse an dem – wie mir beim Anblick der Immobilie bewusst wurde – wirklich großen Bildungsprojekt hatten. Worauf ich nicht vorbereitet war, war, dass jeder Interessent seine Idee für das Gebäude pitchen durfte. Ich habe Kitas gegründet, Mamikreisel, Fruiteverse, mir ist Bildung wichtig, doch als ich an der Reihe war, sagte ich: „Hallo ich bin Günes, ich bin Lebensmittelretterin und habe vor 4 Jahren ein Konzept entwickelt, wie man gerettete Lebensmittel zu leckeren Mahlzeiten verarbeitet und verkauft. Und genau das würde ich gerne hier drin machen.“
Lebensmittelverschwendung geht uns alle an
Ich versuche schon seit Jahren das Thema Lebensmittelverschwendung in die Mitte der Gesellschaft zu bringen. Denn die Mengen, die u.a. in Privathaushalten weggeworfen werden, sind unglaublich hoch. Alleine in Deutschland werden pro Jahr 12 Millionen Tonnen weggeworfen. D.h. alles, was von 1.1. bis 30.4. jedes Jahr produziert wird, wandert 1:1 in den Müll. Wenn man allerdings ein saftiges Bananenbrot backt, schmeckt man gar nicht mehr, ob die Bananen weich und braun waren oder nicht.
Mir war schon vor 4 Jahren bewusst, dass ich für Lebensmittelrettung als Großprojekt eine Gastro-Einheit mit außergewöhnlich viel Produktions- und Lagerfläche brauchen werde. Denn wenn wir beispielsweise 17 Paletten Lauch retten, müssen wir den Lauch zwischenlagern, waschen, schneiden, blanchieren und einfrieren können. So kann man den Lauch über mehrere Monate verwenden, anstatt eine Woche jeden Tag Lauchsuppe anzubieten, bis sie keiner mehr essen kann.
Die Räumlichkeiten passen perfekt zu meinem Konzept
Am 4. Januar durften wir uns dann das Gebäude und die Küchenräume ansehen und mir war sofort klar, dass sie genau in mein Konzept passen. Der Vormieter hatte dort eine Küche eingerichtet, in der er mit seinen Mitarbeitern 2.500 Essen pro Tag produziert hat. Die Küche ist vollständig eingerichtet und funktionsfähig und wie wir heute wissen, ist sie sogar für 10.000 Mahlzeiten ausgerichtet.
Am 5. Februar habe ich schließlich meinen Pitch vor dem Eigentümer Hines gehalten. Und wie es der Zufall so will, habe ich am selben Tag eine halbe Palette Grillsaucen der Firma Heinz gerettet. Eine Flasche davon habe ich Hines in die Hand gedrückt und gesagt: „Falls du es noch nicht weißt, wir machen hier etwas Großes zusammen“.
Das „Community-Kitchen“ Projekt wird viele wachrütteln
Ich denke wir werden mit dem Projekt sehr viele Menschen wachrütteln. Es ist momentan tatsächlich so, dass ich häufig gefragt werde, warum ich abgelaufene Lebensmittel verkaufen darf. Naja, weil es eigentlich jeder darf!
Es macht nur kaum jemand, weil laut Gesetz der Letzte, der ein Produkt mit abgelaufenem MHD weitergibt, auch die Haftung übernimmt. Dass der Lebensmitteleinzelhandel bei der Produktbreite nicht die Haftung für all die Lebensmittel, die zum Verkauf stehen, übernehmen möchte, ist verständlich. Die Folge ist nur leider, dass die Produkte weggeworfen werden und die Gesellschaft folgert daraus, dass es nicht erlaubt sei, die Produkte weiterzugeben.
Wie sieht das dahinterliegende Konzept der Umsetzung aus?
Menschen sollen kommen, um zu bleiben. Bei uns gibt es keinen Konsumzwang, sondern einen Konsumwunsch. Dabei wird das Essen natürlich so lecker riechen und schmecken, dass die Menschen etwas essen möchten. Leitungswasser ist ein Grundrecht, deshalb gibt es das bei uns umsonst. Wir werden ca. 300 Sitzplätze auf bunt zusammengewürfelten Sitzgelegenheiten haben. Es wird einen Kicker, aber auch einen Wollespender geben, sodass sich alle Altersgruppen willkommen- und wohlfühlen werden. Wir werden so wirtschaftlich wie nötig und so sozial und ökologisch arbeiten.
Teilhabe ist uns wichtig
Teilhabe ist uns wichtig, deshalb werden wir jede Person, die möchte, auch aktiv einbinden. Warum?
Durch mein jährliches Heiligabend-Essen habe sich sehr viel Kontakt zu Organisationen, die sich um ältere Menschen kümmern und bekomme immer wieder mit, dass ganz viel ältere Menschen, vor allem aber Frauen, in unserer Gesellschaft unsichtbar sind. Sie haben eine sehr knappe Rente, essen unausgewogen, weil es günstiger, ist und man sieht sie einfach nicht, weil sie in unserer Gesellschaft nicht integriert sind. Wir möchten diesen alten Frauen, aber auch alten Männern, Arbeitslosen, leidenschaftlichen Ehrenamtlern und Menschen, die Lust auf eine Gemeinschaft haben, genau diese Gemeinschaft geben – und eine Aufgabe und Verantwortung: Wenn ich als Lebensmittelretter den Anruf bekommen, dass ich 17 Tonnen Lauch abholen kann, dann kann das Küchenteam die Verarbeitung nicht alleine stemmen. Deshalb bauen wir eine Mitmachküche für Freiwillige auf, die alle die Infektionsschutz- und Hygieneschulungen durchlaufen und uns dort tatkräftig unterstützen. Für ihren Support bekommen unsere Helferlein eine Greencard fürs Community Kitchen, mit der sie das ganze Jahr kostenfrei essen und eine weitere Person zum Essen einladen können. Wer genießt es nicht, auch mal Gastgeber zu sein?
Teilhabe bedeutet für uns auch, dass es frische Schulbrote geben wird, dass Kinder mit einer gesunden Mahlzeit in den Tag starten. Das ist insbesondere an einem sozialem Brennpunkt, wie München-Neuperlach wichtig.
Morgen geht es weiter mit unserem Interview mit Günes Seyfarth