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Am 30. April ist der Internationale Tag der gewaltfreien Erziehung. Das ist ein besonders guter Anlass, sich als Eltern mit der Frage auseinanderzusetzen: „Was ist eigentlich Gewalt?“

Was ist Gewalt?

Unter Gewalt wird generell ein kraftvolles Einwirken verstanden. Gewalt bedeutet, dass wir als Eltern unsere Macht nutzen, uns über unsere Kinder hinwegsetzen und dafür sorgen, dass genau das passiert, was wir eben für richtig halten – unabhängig von den Bedürfnissen unserer Kinder.
Gewalt ist das Ausnutzen von Macht – also erst einmal nicht gut. Eigentlich klingt das ganz einfach. Ist es aber nicht. Schließlich sind wir in der Verantwortung. Wir können und wissen Dinge, die unsere Kinder noch nicht begreifen. Es gibt nicht ohne Grund den Begriff „schützende Gewalt“.
Das Komplizierte an Elternschaft und Gewalt ist, dass die Übergänge fließend und die Grauzonen groß sind. Darüber, dass Kinder nicht geschlagen werden sollten, sind sich inzwischen (fast) alle einig. Aber was ist mit Beschimpfungen? Mit Bloßstellungen? Was ist mit einem heftigen Ruck am Arm, um das Kind vor schnell fahrenden Autos zu schützen?

Ist all das Gewalt?

Glauben wir aktuellen soziologischen Überlegungen, ist die Antwort ja. Aber, und das ist ein großes Aber: Gewalt an sich ist nicht per se schlecht. Gewalt ist erstmal nur die Tatsache, dass wir etwas umsetzen, initiieren, antreiben. Die Frage, die wir uns eigentlich stellen sollten, ist: Tut das uns allen gut? Denke ich hier mein Kind mit? Nehme ich mein Kind wahr und ernst?
Würden wir als Eltern komplett auf Gewalt, also auf alle Handlung verzichten, die nicht ohne Überredung mit Begeisterung von unseren Kindern aufgenommen wird, wären wir handlungsunfähig. Wir könnten unserer Verantwortung als Eltern nicht mehr gerecht werden. Wir könnten unsere Kinder nicht anziehen, oft nicht aus dem Haus gehen, sie nicht in die Schule
schicken. Und wir würden schnell ausbrennen, weil der ständige Versuch perfekt friedvoll zu sein, zum Scheitern verurteilt ist.

Warum ist das wichtig?

Reine Gewaltfreiheit gibt es also eigentlich gar nicht. Trotzdem wollen wir gute Eltern sein. Wie sollen wir uns in dem Wald aus Elternratgebern, Instaposts und Blogs zurechtfinden? Wie können wir es schaffen, unseren Kindern ein liebevolles Zuhause zu bieten? Wir schaffen das vor allem, indem wir uns diese Fragen immer und immer wieder stellen. Indem wir die Notwendigkeiten des Alltags, unsere Bedürfnisse und die unserer Kinder immer wieder miteinander abgleichen. Wir schaffen das, indem wir unseren Kindern zuhören und ihnen so viel Raum und Freiheit wie möglich geben. Und wir schaffen es, indem wir gut auf uns achten. Ausgebrannte Supereltern, die am Ende des Spielplatzbesuchs bis zur Erschöpfung diskutiert haben und innerlich einen Groll hegen, nützen niemandem was. Unsere Kinder spüren unsere Wut. Und sie spüren unsere Verunsicherung. Wir als Eltern sind ihr Hafen, ihr Leitstern, ihr Anker. Wir als Eltern müssen also das richtige Maß finden. Mit der Gewaltfreiheit im Blick. Wir müssen jeden Moment nehmen, wie er kommt. Uns vom eigenen Perfektionismus verabschieden. Unsere Kinder und uns selbst ernst nehmen.

Was bedeutet das für uns?

Gewaltfreie Erziehung bedeutet im Endeffekt für jede Familie etwas anderes. Weil unsere Umstände und Bedürfnisse grundverschieden sind. Eigentlich suchen wir nach „so gewaltfrei wie möglich“. Wir suchen nach der goldenen Mitte. Nach Kompromissen, die für alle passen. Wir suchen nach Verbindung miteinander, nach Langmut und Klarheit. Irgendwo zwischen all
diesen Begriffen befindet sie sich: die gewaltfreie Erziehung. Sie ist nicht perfekt. Weil das Leben nicht perfekt ist. Weil Beziehungen komplex sind. Aber sie ist das Beste, was wir für uns und unsere Kinder tun können.

Josi Bernstein ist Unerzogen-Expertin und schreibt seit Jahren zu den Themen gewaltfreie
Erziehung auf Barrio, auf ihrem Blog, bei Instagram oder bei Twitter.