Wir freuen uns, dass die beiden Autorinnen von „Bis eine*weint!“ von facesofmoms sich die Zeit genommen haben für BARRIO einige Fragen zu beantworten, sowohl zu ihrem Buch als auch zu anderen aktuellen Themen des Mamaseins.
Euer Buch ist authentisch, ehrlich und vielfältig. Warum war es euch wichtig ein Manifest an die Vielfalt im Leben von Müttern zu kreieren, das absolut aus dem Leben gegriffen ist und das Mamsein so zeigt, wie es für die jeweilige Mama ist?
Wir möchten mit unserer Kampagne und unserem Buch vor allem auf zwei Kernthemen aufmerksam machen. Zum einen auf strukturelle Ungleichheitsverhältnisse, denen Mütter gegenüberstehen und zum anderen für den Wert von Care- Arbeit sensibilisieren.
Was wir nicht vergessen dürfen ist, dass die jeweiligen Lebensmodelle, die Familien leben sehr unterschiedlich sind, die Politik jedoch jede Abweichung seitens des heteronormatives Kleinfamilienideals „bestraft“. Wir möchten, dass die Gruppe der Mütter untereinander sowie die Gesellschaft solidarisch miteinander umgehen und aufhören jegliche Lebensmodelle zu diskriminieren Unserer Meinung schaffen wir das in einem ersten Schritt mit dem Sichtbarmachen jeglicher Familienformen und „Mutterschaften“ und dem Checken der eigenen Privilegien. Und das geht wiederum nur mit echten Geschichten, Verletzlichkeit und Nahbarkeit. Das Interviewformat hilft uns dabei, auch strukturelle Ungleichheit nachvollzieh- und fühlbarer zu machen.
Zum anderen war es uns wichtig, Müttern auch zu erlauben Ambivalenz gegenüber ihrer eigenen Mutterschaft äußern zu dürfen. Care-Arbeit ist anstrengend. Wir sind keine Superheldinnen und das ist auch gut so. Die Bandbreite in denen Mütter okay sind, ist so groß. Und das soll jede*r sehen und lesen dürfen.
Wie kam es zu dem ungewöhnlichen Titel „Bis eine* weint!“ und was signalisiert er?
Wir wollten etwas Prägnantes, das den Struggle, die Erschöpfung und die Ambivalenz im Titel trägt. Etwas, das gleich ins Auge fällt. Dabei ist auch erstmal nicht eindeutig, wer weint. Die Mutter oder das Kind. Und auch warum nicht? Vor Glück, vor Freude, vor Wut, vor Trauer. Und irgendwann weint immer jemand 😉
Warum ist es euch wichtig eure Leser*innen für den Wert der Care-Arbeit zu sensibilisieren?
Weil in unserer Gesellschaft Care-Arbeit, die hauptsächlich von Frauen geleistet wird, immer noch als naturgegebenes Glück der Frau gesehen wird und daraus großer Erwartungen gespeist werden, die wir so nicht mehr erfüllen wollen und können. Care-Arbeit bzw. Fürsorge ist die Basis unserer Gesellschaften und als diese muss es auch anerkannt und gesehen werden. Aktuell ist Care-Arbeit unbezahlt, führt auf unterschiedlichsten Wegen zu Diskriminierung und Ungleichheit. Solange dieser Status Quo verharmlost wird, wird sich hier auch nichts ändern. Wir brauchen ein Umdenken, eine Care-Revolution, so wie es auch schon die Autorin und Journalistin Mareice Kaiser fordert.
Woran krankt es eurer Meinung nach in unserer Gesellschaft, wir schreiben das Jahr 2021 und noch immer werden Frauen und Familien benachteiligt?
Leider zählt nur das, was Geld bringt. Das sieht man auf allen Ebenen unserer Gesellschaft. Kapitalismus und das Patriachat. Das bedeutet, das die gesellschaftlichen Strukturen, Werte und Normen von Männern, Machtverhältnissen und Kapital geprägt werden. Dabei geht uns explizit nicht darum gegen unsere Partner*innen zu wettern – wir wollen eine Diskussion auf Augenhöhe und schlichtweg gleiches Recht für alle, auch fern von Geschlecht. Care-Arbeit muss als das gesehen werden, was es ist: Arbeit und Basis jeder Gesellschaft.
Zuletzt ist das während der Pandemie wieder allzu deutlich geworden. Familien und Kinder wurden und werden übergangen und die Last wird zum größten Teil auf den Schultern der Familie und vor allem der Mütter gelegt. Deswegen ist es auch so wichtig, dass diese Themen auch Raum im politischen und wirtschaftlichen Diskurs bekommen.
Was sind heutzutage die größten Herausforderungen des Mutterseins?
Unserer Meinung vor allem die strukturelle Ungleichheit die Frauen und insbesondere Mütter gegenüberstehen. Und das Problem, dass diese nicht gesehen und im schlimmsten Falle auch noch individualisiert werden. Dabei sind Diskriminierungsformen immer intersektional zu denken, da eine schwarze, alleinerziehende Mutter mit einem behinderten Kind anderen Voraussetzungen gegenübersteht.
Aileen Puhlmann hat es in ihrem Vorwort zu unserem Buch so treffend beschrieben: „Wir sollen arbeiten, als hätten wir keine Kinder, und Mütter* sein, als würden wir nicht arbeiten. In dem Spagat zwischen Familie und Beruf scheint es einfacher, sich gegeneinander auszuspielen als das Patriarchat zu dekonstruieren.“
Warum behindert unsere Gesellschaft Mütter, die Karriere und Familie unter einen Hut bringen wollen immer noch?
Zum einen ist es das Konzept von Mutter- und Vaterschaft, in der wir vor allem hier im Westen Deutschlands sozialisiert wurden. Frauen sollen gebären und verflixt nochmal Glück dabei empfinden. Väter sollen arbeiten gehen und die Familie ernähren. Zudem werden diese Vorstellungen von politischen Entscheidungen manifestiert, wie z. B. das Ehegattensplitting zeigt. Und zum anderen das Konzept unserer Arbeitswelt, das an diesem Ernährermodell und einem entsprechendem Karriereprinzip ausgerichtet ist. Karriere und Vereinbarkeit ist so nicht möglich. Geschweige denn für Familien, die von diesem bürgerlichen Kleinfamilienideal abweichen.
Wir kennen mittlerweile die verschiedensten Lebenskonzepte / Familienkonzepte und trotzdem werden diese nicht wirklich gleichberechtigt und wertefrei anerkannt. Woran liegt das und was braucht es um hier eine Änderung herbeizuführen?
Über unseren Instakanal hinaus, werden wir oft mit Unwissenheit konfrontiert. Die Mehrheit der Gesellschaft schaut selten über den Tellerrand hinaus, kennt andere Lebensformen nicht und glaubt nicht an das Konzept der strukturellen Ungleichheit bzw. setzt sich nicht bewusst damit auseinander. Ich denke wichtig ist zum einen das Sichtbarmachen struktureller Ungleichheit und reflektieren der eigenen Privilegien. Das Hinterfragen von Klischees und Rollen bei sich selbst, in der eigenen Familie, im Kindergarten, im Freundeskreis etc.. Das ist ein anstrengender Weg, den auch nicht jede*r gehen kann. Aber nur so können Toleranz und Solidarität mehr als nur Wörter sein.
Und auch auf politischer Ebene muss gehandelt werden, denn im Individuellen lässt sich das allein nicht lösen. Mutterschaft ist politisch. Das Private ist Politisch und die Politik muss sich allen Lebensmodellen öffnen und veraltete Gesetze verwerfen, um neue zu schaffen! Zum Beispiel für Ein-Eltern- oder Regenbogenfamilien. Nur so lange Politik nur von sehr privilegierten Menschengruppen gemacht wird, werden diese Themen noch lange nicht auf der Agenda stehen.