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Burn on Autor und Experte Timo Schiele hat uns in unserem Interview weitere wichtige Fakten zum hochbrisanten Thema Burn on für euch geliefert. So schnell können wir als Eltern selbst in die Burn on Falle geraten.

In der westlichen Welt sind wir darauf konditioniert zu arbeiten, Höchstleistungen zu erbringen, Karriere zu machen und möglichst viel zu verdienen, liegt hier nicht schon der grundsätzliche Fehler? Müssen wir unsere Werte und Wertvorstellungen neu überdenken?

Beruflicher Erfolg hängt in manchen Berufszweigen sehr stark davon ab, wie viel private Zeit man bereit ist, für die Karriere zu opfern, um dies als Wettbewerbsvorteil für sich zu nutzen. Wenn dementsprechend vor allem zeitliche Ressourcen über die Verteilung von Erfolg und Finanzen, Macht und Verantwortung in einer Gesellschaft bestimmen, dann muss sich niemand wundern, wenn Dauerstress und Burn On zum Normalfall werden.

Arbeitsschutzgesetze für Angestellte werden in vielen Branchen regelmäßig umgangen. Im Niedriglohnsektor können viele Menschen nicht von einem Vollzeitjob leben und müssen zusätzlich arbeiten. Selbstständige existieren sowieso jenseits einer regulären Zeiterfassung. Und der Hochlohnsektor setzt Maßstäbe, die bis in viele Führungsebenen darunter eine schädliche Wirkung entfalten. Das beschreibt einen Bereich, in dem wir uns nicht nur auf individueller Ebene, sondern auch auf gesellschaftlicher fragen müssen, an welchen Zielen wir unser Handeln ausrichten.

Ist es an der Zeit, dass wir uns die Sinnfrage unseres Lebens erneut stellen und beginnen umzudenken, wie es z.B. auch bei unserem Konsumverhalten der Punkt ist?

Wir müssen uns klarmachen, dass wir für die Einschätzung unserer psychischen Gesundheit nicht alleine unsere „Funktionstüchtigkeit“ als Gradmesser heranziehen können und sollten. In der Psychotherapie machen wir mit Fragen nach dem „Sinn des Lebens“ nicht die besten Erfahrungen. Daran haben sich schon viele kluge Köpfe versucht, nicht alle davon hat das glücklich gemacht. Daher scheint es sich vielmehr zu lohnen, sich nach dem „Sinn im Leben“ umzuschauen. Sich also zu fragen, welche persönlichen Werte uns wichtig sind, worauf wir unsere begrenzte Energie und Lebenszeit verwenden wollen. Das kann das Gärtnern sein, das kann politisches Engagement sein. Viele Menschen, die sich in unserer Klinik behandeln lassen, sagen, dass sie teilweise jahrzehntelang an ihren individuellen Werten vorbeigelebt haben. Jobs gemacht haben, die sie eigentlich nicht sinnvoll fanden. Hier können und sollten wir ansetzen.

Mit welchen Gesichtern tritt das Burn On-Syndrom auf? Worauf können wir bei uns selbst achten?

Wir sind es gewohnt, im roten Drehzahlbereich zu leben, die Belastungen halten uns aufrecht. Sie geben uns eine Struktur vor. Wir funktionieren und haben das Gefühl, keine Wahl zu haben. Wir sehnen uns nach Pausen und erlauben sie uns nicht, stattdessen laufen wir scheinbar zuversichtlich und lächelnd durch die Welt. Das Bewusstsein, mit dem die Betroffenen bemerken: Hier ist meine persönliche Grenze, nichts geht mehr, fehlt. Und das macht es für die Betroffenen so schwer, etwas zu verändern, es scheint zunächst kein klares Zeichen zu geben, das mit der körperlichen, aber auch eben seelischen Belastung auf Dauer in Verbindung gebracht wird. 

Gibt es einen Weg raus aus dem drohenden Burn On bevor es zu spät ist? 

Gehen Sie aufmerksam und bewusst durchs Leben. Beobachten Sie sich genau, und vielleicht machen Sie sich Notizen oder führen ein Tagebuch, um sich über die Häufigkeit und das Auftreten von auslösenden Faktoren für Ihren Zustand klar zu werden. 

Die meisten Menschen sind nicht mehr geübt darin, innezuhalten. Sich zu fragen, wie es einem gerade geht, was wir gerade brauchen. Dies nicht im materiellen Sinne, sondern im körperlichen und psychischen Sinne. Viele Menschen sitzen teilweise den ganzen Tag am Schreibtisch, bevor sie abends feststellen, wie angespannt und verspannt sie sind. Wenn wir uns regelmäßig, sagen wir 3x täglich, für drei Minuten einfach nur beobachten und uns fragen, was in uns und um uns herum gerade wahrzunehmen ist, leisten wir großartige Vorarbeit für ein bedürfnisorientiertes und damit glücklicheres Leben. Bei allen Unannehmlichkeiten, die das Leben so mit sich bringt – oft sind wir es auch selbst, die uns z.B. kleine Pausen verwehren oder gar nicht erst auf die Idee kommen, eine einzulegen.

Wie sieht sinnvolle täglich ausgeübte Prävention aus? Was kann der Einzelne tun, damit er erst gar nicht in die Krise rutscht?

Der erste Schritt ist sicherlich, Innezuhalten und die eigene Haltung ehrlich zu hinterfragen. Muss es wirklich immer und unter jeder Voraussetzung weitergehen? Möchten wir der Arbeit und ihren sich in alle Lebensbereiche ausdehnenden Ansprüche wirklich unsere Gesundheit und Zufriedenheit opfern? Auch wenn der Begriff der Achtsamkeit aktuell inflationär benutzt wird: die Inhalte, die sich dahinter verbergen, können ganz konkret helfen, besser für sich zu sorgen. Wir können nur jedem dazu raten, sich ernsthaft die Frage zu stellen, ob die Arbeit noch in einem umfassenden Sinne unserem Leben dient oder es nicht längst umgekehrt ist. Wer die Grenze zu einem Burn On überschritten hat, zusätzlich an psychischen Begleiterkrankungen wie einer Depression leidet, braucht professionelle Hilfe, zumindest eine ambulante Psychotherapie. Oft braucht es aber auch eine Auszeit im Rahmen einer stationären Psychotherapie.

BARRIO dankt für dieses superinteressante Interview.

Die Fragen beantwortete Autor und Dipl.-Psych. Timo Schiele, Leitender Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut der Psychosomatischen Klinik Kloster Dießen.

Den 1. Teil dieses hochinteressanten Interviews lest ihr hier

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