Journaling ist ein ziemlich strapaziertes Trend-Hobby. Ein Allheilmittel soll es sein, gerade für gestresste Eltern. Ich glaube, wäre es schon so auf Instagram gehypt worden, als ich die Seiten meines ersten Notizblocks voll schrieb – ich hätte damit vermutlich nie angefangen. Umso glücklicher bin ich, dass es anders gekommen ist. Denn mein Journaling macht mich zu einem besseren Papa, Freund, Ehemann.
Wie ein schweigsamer Freund
Mein Journal – wir können es auch ganz altmodisch Tagebuch nennen – ist mein schweigsamer Freund, der jeden Abend auf meinem Schreibtisch auf mich wartet. Ohne Wertungen, wenn ich es vorgestern nicht geschafft habe, etwas aufzuschreiben, und ohne Kritik, wenn ich am Tag über einmal nicht die beste Version meiner selbst war. Nicht der beste Papa, nicht der beste Partner, nicht mein eigener bester Freund. Ich erhalte Klarheit ohne Vorwürfe.
Ein Weg zu erstaunlichen Erkenntnissen
Meine Notizbücher beinhalten kleine, kryptische Zeichnungen, mit viel Schwung auf das Papier geworfene Worte und plötzliche Lücken, die mit Einkaufslisten oder Arbeitsmitschriften gefüllt sind. Sie sind genauso verquer wie ich, aber sie haben eine ordnende Funktion. Indem sie da sind, bieten sie einen Ort für meine Gedanken, um sich zu versammeln.
Journaling führt auf den verschlungenen Pfaden der eigenen Handschrift zu erstaunlichen Erkenntnissen. Mein ratternder Kopf kommt zur Ruhe, die Gedanken, die mich den Tag über belastet oder verfolgt haben, finden ihren Raum, um sich auszudrücken. Versteckte Wünsche, Ideen oder Probleme tauchen plötzlich aus dem Wirrwarr auf, und am Ende entsteht ein Muster, das mehr Sinn ergibt als gedacht. Ohne, dass ich meine aktuelle Verfassung ernster nehme, als sie ist. Und das ist gut.
Abstand und Ruhe finden
Denn ich neige dazu, meine momentanen Gefühle und Stimmungen weit wichtiger zu nehmen, als sie sind. Wenn ich wirklich frustriert bin mit meiner Tochter, kommt das meistens daher, dass es sich um ein Thema handelt, dass bereits in meiner Kindheit schwierig war. Wenn ich dann schimpfe, knalle ich dem gemeinsamen Verständnis gewissermaßen die Nase vor der Tür zu. Wenn ich es aber schaffe, einen Moment innerlich zurückzutreten, zu atmen und meinem Verstand wieder Raum zu geben, entsteht Verbindung.
Für diesen inneren Abstand brauche ich die Klarheit, wo mich etwas belastet. Diese Erkenntnis kann aus einem Gespräch mit einer vertrauten Person kommen, oder aber aus einem Zwiegespräch mit mir selbst: dem Journaling. Deshalb öffne ich jede neue Seite in meinem Notizbuch mit dem Gefühl, nicht nur mir selbst etwas Gutes zu tun, sondern auch meiner Familie und meinen Freunden.
Olaf Bernsteins guilty pleasure ist es, sich neue Notizbücher zu kaufen, obwohl die alten noch längst nicht vollgeschrieben sind. Was die Seiten füllt, findet sich dann häufig auf Barrio, auf seinem Blog, bei Instagram oder bei Twitter.