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Es gibt kaum etwas Schlimmeres als Helikoptereltern, die ihren Kindern jeden Stein und jedes Hindernis aus dem Weg räumen – oder? Eine kleine Rettung der Eltern mit den großen Flügeln.

Helikoptereltern sein tut weh

Wenn Tante Heike auf der Familienfeier ankommt und sagt: „Ihr verwöhnt euer Kind. Ständig achtet ihr auf jedes Muff und Maff. Ihr seid die reinsten Helikoptereltern!“, dann sitzt das erstmal. Niemand will ein Helikopterelter sein. Im Grunde ist das so erstrebenswert wie eine Mischung aus Tiger Mum und Kontrollfreak. Diese Sätze fallen häufig aus dem Mund von Leuten, die auch gerne sagen: „Stell dich nicht so an, der*die muss das lernen!“ oder: „Das Leben ist nun mal kein Ponyhof!“

Unsere Kinder sind unsere Verbündeten

Früher war ich in solchen Momenten sprachlos. Aber mittlerweile, auch dank kluger Inspiration von Menschen wie Ruth vom Kompass, sehe ich die Sache sehr anders. Zum Einen: Warum erkennen wir nicht an, dass unsere Kinder uns einfach brauchen? Ohne bösartige Hintergedanken? Ohne geheime Absicht, uns zu manipulieren? Kein Kind denkt, es ist die beste Freizeitbeschäftigung der Welt, Eltern zu quälen und ihnen das Leben anstrengend zu machen. Kinder wollen kooperieren, Teil unseres Alltags sein – und keine Last. Deshalb verbiegen sich einige von ihnen bis zur Unkenntlichkeit, um zu gefallen und nicht zu stören. Ich selbst war zumindest in Teilen so ein Kind, und ich lege diese Angewohnheiten nur unter Schmerzen ab. Kein Erwachsener kann sich für sein Kind wünschen, dass es sich verstellt, nur damit das Umfeld sagen kann: „Endlich herrscht da mal Zucht und Ordnung!“

Kinder dürfen liebevoll aufwachsen

Zum anderen sind solche Helikoptereltern-Aussagen, und das zeigt die Wortwahl der Beispiele, die ich hier bewusst gewählt habe, zutiefst menschen-, und im Speziellen kinderfeindlich. All die adultistischen, misogynen Vorurteile und Glaubenssätze, die unsere Gesellschaft durchziehen, brechen sich hier Bahn. Kinder schlagen ist vielleicht mittlerweile verpönt. Aber wer auch etwas gegen die verbale oder psychische Gewalt tut – indem das Kind eben liebevoll und behütet aufwächst – der triggert andere Menschen bei jeder Begegnung. Weil es nach wie vor in Ordnung zu sein scheint, Kinder gewaltvoll „abzuhärten“ – was letztlich nichts anderes bedeutet, als sie zu beschneiden, zu brechen und in dem einzuschränken, was sie als Persönlichkeiten ausmacht. 

Verletzte innere Kinder

Was aus den Worten der Tante Heikes dieser Welt spricht, ist Neid und Wut. Der Neid und die Wut, all die verletzten, vernachlässigten inneren Kinder, die früher nicht gehört worden sind. Deren Bedürfnisse hinter denen der Erwachsenen zurückstehen mussten. Die sich immer noch einsam und unwichtig fühlen. All diese inneren Kinder in den großen Erwachsenen müssen jetzt mitansehen, dass es auch anders geht. Dass es Eltern gibt, die versuchen, alle Bedürfnisse von Groß und Klein unter einen Hut zu bringen. Die darauf achten, dass es allen gut geht – auch wenn das bedeutet, hin und wieder schief angeguckt und als Helikoptereltern bezeichnet zu werden.

Wir sind gern Helikoptereltern

Wir wollen nicht, dass unsere Tochter am Ende denkt, sie selbst muss im Leben nichts tun. Wir wollen, dass unsere Tochter weiß, dass sie sicher ist. Dass wir für sie da sind, wenn es ernst wird und sie Hilfe braucht. Vor allem aber wollen wir ihr eine innere Stärke, Sicherheit und Motivation mitgeben, die so vielen Menschen, die ziellos in ihrem Leben von Sorge zu Sorge trieben, zu fehlen scheint. Wenn wir unsere Flügel über unserem Kind ausbreiten, beschneiden wir nicht seine Freiheit, sondern wir nähren seine innere Motivation. Wir sogen für einen Safer Space. Für Ruhe und Vertrauen. Genau das wünsche ich mir für alle Eltern. Wenn das heißt, dass uns dann manche als Helikoptereltern bezeichnen – dann sind wir gerne welche.

Olaf Bernstein schreibt für Barrio zu allen großen und kleinen Themen des Elternalltags. Weitere Gedanken findet ihr auf seinem Blog, bei Instagram oder bei Twitter.

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